War N gegen Moral?
Die populär-gängige Vorstellung von einem "Immoralisten" ist die eines
"Libertins" (Wüstlings) und **"Ästhetizisten" (verkörpert z.B. in Oscar
Wildes Dorian Gray).
Damit hat N sehr wenig oder gar nichts zu tun: persönlich nichts, denn
er lebte eher wie
ein Asket, und geistig nichts, denn Moral als notwendige Lebensregelung,
als kultivierender
Zwang bleibt im Wesentlichen unangetastet.
Ns Attacke gegen "die Moral" hat drei Quellen. In seinem persönlichen
Leben ist N mit der "Naumburger Tugend" konfrontiert; so hat z.B. Ns Schwester
sein Verhältnis zu Lou Salomé als moralisch verwerflich betrachtet.
Hinter der privat-persönlichen Dimension steht die kulturgeschichtliche,
wonach es in der Geschichte der Moral
einen "Sklavenaufstand" gegeben hat, der durch **"Sklavenmoral" und **Ressentiment
eine erste
"Umwertung" zur Folge hatte:
Nicht mehr die Starken und Gesunden, sondern die Schwachen und Kranken
gelten jetzt als "gut", ihre Bedürfnisse und Urteile werden maßgeblich.
Diese "jüdisch-christliche Umwertung" will N durch eine Gegen-Umwertung
rückgängig machen. Hinter dem kulturgeschichtlichen Angriff auf die Moral
steht Ns Ablehnung der Vorstellung, dass der Mensch überhaupt durch Rationalität
sein Wesen ändern könne.
(Er nennt diese Ansicht - deren Wurzeln er in **Sokrates findet - einen
"tiefsinnigen Wahn".)
"Moral", die "bürgerliche"
wie die "sozialistische", ist so gut wie unlösbar mit **"Zürnen und Strafen"
und mit **Ressentiment verbunden. Wenn N von "moralinfreier Tugend" spricht,
so denkt er keineswegs nur an Gewaltmenschen wie Cesare Borgia (die an
der "Naumburger Tugend" nicht leiden, sondern sich lachend darüber hinwegsetzen);
er denkt vor allem an ein "neues
Evangelium", das Moral ersetzt durch Weisheit.
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